Digitaler Zwilling

Vor dem eigentlichen Produktionsstart werden Fertigungsprozesse heutzutage zunächst simu­liert, um Fehler zu vermeiden und Ressourcen (Zeit, Material etc.) einzusparen. Bei diesen Simu­lationen spielen die Eigenschaften aller in der Fertigungskette eingesetzten Geräte und Prozesse eine entscheidende Rolle. Daher ist ein weiteres Ziel des GEMIMEG-Projektes die Entwicklung von Digitalen Zwillingen (DT). Diese DT sind präzise numerische Abbildungen der verwendeten realen Geräte und Prozesse. Sie entstehen u. a. auf der Basis des DCC in Kombination mit den physikalischen Modellen, auf die dann numerische Verfahren angewendet werden. Darüber hinaus berücksichtigen die DT Systeminformationen wie eine eindeutige Identifikation der einzelnen Komponenten und Informationen über den aktuellen System-Zustand (z. B. Messwerte von Umgebungsbedingungen) oder „intelligentes“ Expertenwissen, das Prognosen über Wartungsintervalle ermöglicht. So könnte beispielsweise die Fertigung eines Einzelstücks mit vorgegebener Genau­igkeit auf verschiedenen Fertigungsstraßen simuliert werden und dann die Fertigungsstraße ausgewählt werden, die die höchste Wertschöpfung liefert.

Die DT einfacher Sensoren wie beispielsweise Temperatursensoren stellen die (einfachen) DT-Grundtypen dar. Die DT von komplexeren Messgeräten und -systemen, die sich aus diesen einfachen Grundtypen wie ein Puzzle aufbauen lassen, repräsentieren DT-Typen hierarchisch höherer Ordnungen. Messtechnisch verfügt die PTB über das tiefgreifende Know-how, Digitale Zwillinge zu modellieren und in Form von Softwarebausteinen in eine digitale Plattform einzubinden. Letztlich müssen alle DT innerhalb der digitalen Plattform intelligent miteinander kommunizieren können, unabhängig vom Hersteller. Die Basis für die universelle Schnittstelle des Digitalen Zwillings wird durch den Digitalen Kalibrierschein gelegt.

Ideale Voraussetzungen für die Entwicklung einer solchen digitalen Plattform bietet das neue Kompetenzzentrum für Windenergie der PTB, welches derzeit aufgebaut wird. Zwei der dort entstehenden messtechnischen Anlagen erlauben größtmögliche Flexibilität, um gemeinsam mit namhaften und einflussreichen Industriepartnern sowie führenden Vertretern aus der Wissenschaft zukunftsgerichtete Strukturen zu etablieren: Die neue Drehmoment-Normalmesseinrichtung (DM-NME) als das weltweit größte Messgerät zur Kalibrierung großer Drehmomente (bis 20 MN∙m, PTB-Eigenentwicklung) und das neue Groß-Koordinatenmessgerät (Groß-KMG) (Messvolumen 5 m x 4 m x 2 m; kommerziell erhältlich und industriell weit verbreitet) für die dimensionelle Messung großer Bauteile.

Die hier zu entwickelnde digitale Plattform (vgl. Abbildung 2) soll – im Gegensatz zu einem Test Environment oder Testbed – als „Production Environment“ oder „Realbed“ aufgebaut werden. Ziel des Projekts GEMIMEG wird dabei sein, eine funktionsfähige Anlage aufzubauen, die einen dauerhaften voll digitalen Kalibrierbetrieb ermöglicht. Integraler Bestandteil dieses „Realbeds“ wird eine Vielzahl von Sensoren wie Temperatur-, Luftfeuchte- oder auch Schallpegelsensoren sein. Mit der weit verbreiteten Verwendung solcher Sensoren in nahezu allen industriellen Bereichen verfügen die angestrebten Entwicklungen über ein hohes Verbreitungspotential. Dies zeigt sich auch deutlich in dem großen Interesse unserer Partner aus der Industrie und einer verstärkten PTB-internen Bündelung aller Digitalisierungsaspekte. Über den nationalen Verbreitungsweg bestehen zudem gute Voraussetzungen, auch für den internationalen Markt moderne Standards zu setzen.